STRAWINSKY und die Psalmensinfonie

Der große russische Komponist Igor Strawinsky geboren 1882 in der Nähe von St. Petersburg, gestorben in New York 1971 und in Venedig begraben, ist spätestens seit der Pariser Skandaluraufführung seiner 3. Ballettmusik Le Sacre du Printemps von 1913 in aller Munde.

Viele verschiedene Einflüsse verschmelzen sich im Lauf der Zeit bei ihm zu einem unverwechselbaren musikalischen Stil. Ab den 1920er-Jahren zählt Strawinsky zu den eher konservativen Neoklassizisten, deren Anliegen es ist, die Musik aus dem Gefühlsüberschwang der Romantik zu befreien und eine „objektive“ Musik zu schaffen, die ganz auf die musikalische Form setzt, wie sie nach deren Verständnis auch die alte Musik bestimmt. Strawinsky gehört heute neben Schönberg, Berg und Webern zu den wichtigsten Vertretern der frühen Neuen Musik.

Das gewichtigste religiöse Werk des Komponisten und eines der bedeutendsten geistlichen Musikwerke des 20. Jahrhunderts überhaupt, ist seine Psalmensinfonie. Sie entstand 1930 aus Anlaß des fünfzigjährigen Bestehens des Boston Symphony Orchestra, also ca. 70 Jahre nach der Rossini-Messe, und ist, wie zu Beginn der Partitur betont wird, zur Ehre Gottes komponiert.

Jedem der drei Sätze liegen Psalmverse zugrunde: im ersten, kurzen Satz Verse aus Psalm 39 (Exaudi orationem meam – Höre, Herr, mein Gebet); der zweite, eine große Doppelfuge, beginnt mit Versen aus Psalm 40 (Expectans expectavi Dominum – Ich harrte des Herrn und er hörte mein Bitten); der dritte und längste Satz widmet sich dem 150. Psalm (Alleluja. Laudate Dominum – Halleluja, lobet den Herrn).
Die inhaltliche Bandbreite der Texte reicht von verzweifelt klagendem Gebet über hoffnungsvolle Erwartung bis zum hymnischen Gotteslob des Schlußsatzes.
Die Sätze des Werkes greifen Formen aus unterschiedlichen kirchenmusikalischen Traditionen auf. Den ersten Satz prägen Anklänge an einen gregorianischen Wechselgesang, den zweiten Satz der Rückgriff auf eine barocke Doppelfuge und im dritten Satz assoziiert man Gesänge und Glocken, die an die Hymnen der orthodoxen Kirche in Rußland erinnern. Dimitri Schostakowitsch hat das für Chor und Orchester geschriebene Werk für Klavier zu 4 Händen bearbeitet. In dieser reduzierten Fassung, in der der originale Chorsatz unverändert ist, führen wir das Werk auf. Strawinskys Psalmensinfonie und Rossinis Messe werden in unseren Aufführungen allerdings nicht hintereinander gestellt, sondern ineinander verschränkt. So steht am Beginn des Konzertes der erste Satz aus der Psalmensinfonie noch vor dem Kyrie und Gloria aus Rossinis Messe, gefolgt von Strawinskys zweitem Satz, dem sich Rossinis Musik mit Credo, Offertorium, Sanctus und O salutaris hostia anschließt; vor dem die Weihnachtskonzerte abschließenden Agnus Dei von Rossini steht Strawinskys lobpreisender Schlußsatz Alleluja, Laudate Dominum.